Wer sich literarisch nicht mehr den unter Zwanzigjährigen zuordnet und das Jugendbuch der dänischen Schriftstellerin Janne Teller daher nicht kennt, der erwartete von der Premiere unserer Theater-AG am 17. und 18. März 2017 eine Aufführung voll jugendlicher Begeisterung und Engagiertheit, der man den einen oder anderen Patzer natürlich gerne verzeihen würde.
Wir nehmen es vorweg: Es sollte anders kommen.
Im Nachhinein staunen wir eigentlich immer noch über den Mut unserer Theaterpädagoginnen Julia Augustat und Felicitas Vajna, ein Buch zu adaptieren, das zwar zahlreiche Preise einheimste und auf diversen Bestsellerlisten landete, das aber unmittelbar nach seinem Erscheinen im Jahr 2000 auf dem Index landete und durchaus Kontroversen auslöste.
Was angesichts der Handlung auch keinen verwundern mag: Neuntklässlerin Ivy begibt sich völlig unvermutet in Totalverweigerungshaltung auf ein Baugerüst und traktiert wochenlang ihre vorbeikommenden Freundinnen mit Vorwürfen. In jugendlichem Nihilismus weist sie dem Leben, allen Werten und Zielen, allen Träumen und Wünschen völlige Bedeutungslosigkeit zu und lässt sich durch nichts und niemanden in ihrer Haltung beirren.
Bis ihre Mitschülerinnen Ivys Verhöhnungen leid sind und als Gegenbeweis einen Berg der Bedeutung zusammentragen - aus Dingen, die für jedes einzelne der Mädchen von immenser Wichtigkeit ist.
Was die Inszenierung nun bot, waren viele schauspielerische Glanzleistungen, als unsere Miminnen sich in anrührendem und teils unter die Haut gehendem Spiel von Liebgewonnenem und Selbstverständlichkeiten trennen:
Emma Rau als Sophie, deren Leben sich um Mode dreht, und die mit ihren Schuhen einen lang ersparten Schatz hergeben muss.
Yori Stich als Lissy, deren Hamster nun nicht mehr in ihrer Nähe sein wird, wenn sie Wärme und Zärtlichkeit braucht.
Sarah Oelmann, die so deutsche Annemarie, die mit ihrer Landesfahne auch einen Teil ihrer unverrückbar geglaubten Identität an den Berg der Bedeutung abgibt.
Chiara Krone als Leonie, die mit ihrem Tagebuch auch ihr Innerstes zu verlieren droht.
Luisa Gupta, deren Welt als Liv aus den Fugen gerät, weil die geopferte Adoptionsurkunde dem Druck der Normalität zu widerstehen geholfen hatte.
Lea Hauß, deren Helena das Publikum ganz still werden lässt, als die Gefühlszerrissenheit für den so lange erkrankten und nun toten Bruder die Herzen aller berührt.
Janne Grünewald und ihre Marina mit den auffälligen blauen Haaren, deren Verlust einen Teil der mühsam aufgebauten Fassade zum Einsturz bringt und die verletzliche Kinderseele preisgibt.
Katharina Reineck, die als wunderschöne Halla mit ihrem Kopftuch nicht nur ihre Sicherheit in der Religion sondern auch als Tochter und Schwester zu verlieren droht.
Elisa Kremer, deren im christlichen Glauben behaftete Magdalena mit der Aufgabe des Kreuzes die Fundamente ihres Selbstverständnisses erschüttert.
Laura Breunig, die als Josephine für deren Wertesystem Undenkbares tun muss und zur Mörderin von Lissys Hamster wird.
Laura Müller, deren Verzweiflung als Thea allen Anwesenden den Atem stocken lässt, weil sie mit in Umlauf gebrachten Nacktbildern ihre Unschuld verlieren wird.
Lena Weigel als kraftvolle Anführerin Ella, deren Energie die Mädchen vorantreibt und deren (nicht nur) körperlicher Schmerz beim Verlust ihres Daumens umso intensiver den Theaterraum erfüllt.
Und – last but by no means least – Ana-Zoë Röhrig, deren Ivy aufs Publikum herniederschaut, bisweilen an der Ukulele zupft, und die in ihre Interpretation des "Nothing else matters" von Metallica alles an lakonischer Verachtung hineinlegt, was als Unterstützung für ihre unerschütterliche Haltung vonnöten ist.
Vielen Dank an alle Schauspielerinnen, für das Herzblut, mit dem ihr auf der Bühne standet!
Vielen Dank an Frau Augustat und Frau Vajna für diese Inszenierung, die trotz ihrer Tiefe auch Momente zum Schmunzeln aufwies!
Vielen Dank an Frau Baumann und Frau Fleig-Golks fürs Gestalten von Bühnenbild und Plakaten.
Vielen Dank an Herrn Belgart und sein Technik-Team, die ebenso wie die Schauspielerinnen manches Wochenende (und z.T. die Faschingsferien) für die Proben aufgewendet haben.
Vielen Dank an Herrn Frenzel und Herrn Degel, die wie immer mit Rat und – viel! – Tat zur Seite standen.
Und an dieser Stelle auch einmal ein herzliches Dankeschön an Frau und Herrn Rahn, ohne deren Unterstützung dieser wunderschöne Abend nicht hätte stattfinden können.
Den eigentlichen Höhepunkt eines außergewöhnlichen Theaterabends bildete das Ende, als die Schülerinnen in selbst verfassten Kurztexten ihren persönlichen Bezug zum Geschehen vortrugen und so dem Publikum viel Stoff zum Nachdenken mit auf den Heimweg gaben.