Vom Überraschungsei zu Starbucks und darüber hinaus:
Freitag, 22.November, 11:45 Uhr, ein Klassenraum im Privatgymnasium Weinheim: Gruppenweise sitzen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Seminarkurs „Philosophie in der Populärkultur" über einem kinder Überraschungsei und untersuchen es: Was haben wir hier rein sachlich betrachtet vor uns, als bloßes Ding? Was macht dieses Ding dann zu einer Ware? Welches Erlebnis verbindet sich für Kinder damit?
Eine Ware ist nicht einfach ein Ding. Das zeigt die philosophische Reflexion bald auf. Eine Ware wie das Überraschungsei ist nicht einmal nur ein Gebrauchsgegenstand. Vielmehr kommt einer Ware eine Art Sinnüberschuss zu, eine irreale Dimension, in der sie uns anspricht, ein illusive surplus, wie der slowenische Philosoph Slavoj Žižek sagt. Diese mysteriöse Eigenschaft, die unser Verlangen nach einer Ware weckt, ist nichts Objektives, das sich naturwissenschaftlich feststellen ließe. Vielmehr entsteht sie in unserer Fantasie und in unserem Verlangen. Das Überraschungsei zum Beispiel setzt auf die Neugierde von Kindern und lässt es so im Moment des Auspackens mehr sein als bloß Schokolade mit einem kleinen Plastikspielzeug darin.
Den Reiz von Waren macht nicht in erster Linie ihr Gebrauchswert aus, wir sehen mehr darin: Wer ein iPhone kauft, sucht nicht einfach nach einem beliebigen Gerät zum drahtlosen Kommunizieren, wer Sneaker von NIKE trägt, hat nicht einfach einen Schuh unter anderen gewählt. Beides steht für ein bestimmtes Erlebnis, für Status oder für einen Lifestyle: Das iPhone signalisiert Stilbewusstsein und Luxus, NIKE steht für Sportlichkeit, Coolness, Jugendlichkeit.
Um solche Erfahrungen selbst zu machen und zu reflektieren, machten wir uns nach theoretischer Vorbereitung auf den Weg in die Shoppingmeile Heidelbergs, um mit dem dortigen Starbucks einen Ort der alltäglichen Massenkultur aufzusuchen. Die erste Aufgabe vor Ort: „Genießt euren Kaffee und lasst die Atmosphäre auf euch wirken." Bei der zweiten ging es um eine Reflexion des Erlebten. Das Ergebnis: Zusammen mit dem Kaffee hatten wir ein Erlebnis gekauft, das uns einen hippen, urbanen, jungen und zugleich auch nachhaltigen Lifestyle suggerierte. Der Kaffee selbst – im Druckverfahren durch Kaffeepulver gepresstes, mit aufgeschäumter Milch versetztes, heißes Wasser von säuerlichem Geschmack und anregender Wirkung – schien dabei fast Nebensache.
Nach der Reflexion ging es für die Schülerinnen und Schüler in die Heidelberger Shoppingmeile, Auftrag: Eine Ware zur späteren Interpretation aussuchen und fotografieren. Die Ergebnisse, zwei Wochen später präsentiert, verblüfften: Wer denkt im Alltag schon daran, dass manche Kosmetikprodukte Konsumenten eine spirituelle Dimension suggerieren? Oder dass eine Firma, die ehemals Kleidung für die Skaterszene produziert hat, mittlerweile so sehr auf sich selbst als bloße Marke setzt, dass sie erfolgreich Backsteine mit dem Aufdruck ihres Namens verkauft und damit genau das beweist, was wir zuvor gelernt hatten: Eine Ware definiert sich nicht einfach über den Nutzen. Sie hat eine Aura, die sie erst anziehend macht.
Auf diese Weise konnten wir im Unterricht einholen, was der Titel unseres Seminarkurses als Programm vorgibt: Alltagsphänomene durch philosophische Reflexion von ihrer Selbstverständlichkeit befreien und so zu einem tieferen Verständnis unserer Lebenswelt vordringen.